Schon bei der Lektüre einer Tageszeitung wähnt man sich manchmal in wechselnden Paralleluniversen. Im Politikteil wird der Euro totgesagt, im Wirtschaftsteil erklettert sich unsere Währung immer neue Höhen. Sagen Wechselkurse nichts mehr aus über die wirtschaftliche Stärke?
Wer hofft, sich anhand der harten Fakten - und welche Fakten wären in der Ökonomie härter als nackte Zahlen - ein Bild machen zu können über die Zukunft unserer Gemeinschaftswährung, der wird dieser Tage schnell enttäuscht. Oder vorschnell beruhigt, denn man stellt beim Vergleich der täglichen Wechselkurse verblüfft fest, dass Griechen-Pleite, Portugal-Hilfe oder Andalusien-Ängste zwar die Rentenmärkte in Turbulenzen versetzen, die Devisenhändler sich aber anscheinend mit den Auflösungserscheinungen des Euro überhaupt nicht beschäftigen. Wissen sie mehr als wir?
Lehrbuch-Ökonomie: Der Wechselkurs, wie er sein sollte
Praktisch gesehen ist ein Wechselkurs nichts anderes als der Preis einer Währung in einer anderen Währung. Und weil, wie wir alle wissen, sich ein Preis bildet durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage, lassen sich durch Wechselkurse wunderbar bestehende oder sich entwickelnde wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen zwei Staaten ausgleichen. Denn wenn Land A dauerhaft mehr bei Land B einkauft als verkauft, dann wird Land B zwangsläufig mehr Devisen von Land A zur Verfügung haben, als es durch Importe zurück transferieren kann. Also wird Land A seine Währung abwerten müssen, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen.
Die Wechselkurse stellen nach dieser - hier zugegebenermaßen sehr vereinfacht dargestellten - Theorie also die Relation der jeweiligen Stärke von Volkswirtschaften oder Währungsräume zueinander dar. Soviel die Theorie.
Wechselkurs zum Dollar: Strotzt Europa vor Wirtschaftskraft?
Man darf sich also nach der Lektüre des Wirtschaftsteils beruhigt zurücklehnen. Europa scheint der dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu sein. Im Vergleich zum Dollar, der internationalen Referenzwährung, hat der Euro in den letzten Jahren kräftig zugelegt. Und für Deutschland trifft das Argument der wirtschaftlichen Stärke ja auch unbestritten zu. Keines der alten Industrieländer ist aus der Krise so stark zurückgekehrt. Viele Indikatoren, zum Beispiel der Arbeitsmarkt, sind sogar positiver als vor Beginn der Finanzkrise.
Doch Deutschland macht nur ein Viertel des Euro-Raumes aus. Und bei den restlichen Dreivierteln bietet sich teilweise ein ganz anderes Bild. Sogar überwiegend ein anderes Bild. Ähnlich gut wie Deutschland sind derzeit von den Euroländern nur noch die Niederlande und Österreich aufgestellt. Schon der Blick auf die zweitgrößte Volkswirtschaft der Gruppe, Frankreich, ergibt ein ganz anderes Ergebnis. Weit mehr als die Hälfte der Eurostaaten, schon sowieso der Rest-EU, sind international nicht ausreichend konkurrenzfähig. Kein Experte auf der Welt würde behaupten, die Mittelmeerstaaten wären international wettbewerbsfähiger als die USA.
Wo Wechselkurse nicht mehr zwei Länder wiederspiegeln, sondern ein unsichtbarer Dritter das Bild verzerrt
Es scheint also etwas nicht zu stimmen mit unseren Wechselkursen. Etwas, was die Währung unserer teilweise kranken Volkswirtschaften unwirklich gesund erscheinen lässt. Dieser unsichtbare Dritte, so scheint es zumindest, dürfte die Volkswirtschaft China sein. China verzichtet darauf, den Wert seiner Währung Yüan im freien Spiel der Kräfte ins Wechselkurssystem einzufügen. Der Wert des Yüan wird künstlich an den Wert des Dollars gekoppelt und das obwohl es seit vielen Jahren bereits gigantische Handelsbilanzüberschüsse der Chinesen gegenüber den USA gibt. Nach dem Modell hätten die Chinesen ihre Währung gegenüber dem Dollar längst - und inzwischen in einem gewaltigen Maße - aufwerten müssen. Das hätte aber, wir erinnern uns an unsere Wechselkurstheorie, der chinesischen Exportindustrie geschadet.
Auf diese Art und Weise hat China inzwischen etliche Billionen Dollar an Devisen angesammelt. Und es werden jährlich mehr, denn auch nach der Weltfinanzkrise, die wie alle Welt weiss die USA besonders hart getroffen hat, blieben die Handelsbilanzüberschüsse zwischen der Volksrepublik und den Vereinigten Staaten viele hundert Milliarden Dollar schwer. Nun muss sich dieser Überdruck ein Ventil suchen. Indem Peking durch strategische Umschichtungen in seinen Reserven - sprich dem Ankauf von Euro mit Dollar - den Wechselkurs des Euro künstlich in die Höhe treibt, exportiert es quasi ein wenig den durch die extremen Handelsbilanzüberschüsse produzierten Druck zur Aufwertung des Yüan. Zumindest vorübergehend. Denn die internationalen wirtschaftlichen Disparitäten, die normalerweise durch die Wechselkursmechanismen korrigiert werden, bleiben so erhalten. Bis das System kollabiert, weil einer der Beteiligten dem entstandenen ökonomischen Druck nicht mehr standhält.